Wenn im Nachfolgenden Kritik am “Das NADA-Konzept” geäußert wird, hat das ausschließlich mit der unkritischen Überbewertung eines therapeutischen Konzeptes zu tun. Die Arbeit, die Sozialberater und Betreuer im sozialen Bereich leisten muss davon unbenommen bleiben. Ich habe große Hochachtung vor den Fachkräften, die sich sozial schwachen Gruppierungen der Gesellschaft, die in der Regel längst ausgegrenzt sind, im Bereich der Suchtbekämpfung widmen.
Das Problem beginnt damit, dass die Protagonisten der NADA-Fraktion ehern die Meinung vertreten, das, was sie da tun, sei therapeutisch gesehen Ohrakupunktur. Und da sie neuerdings ihre Bemühungen nicht nur auf die Suchtprobleme sozial schwacher Bevölkerungsgruppen richten, sondern auch andere Problemgruppen, wie hyperaktive Kinder und gestresste Manager, richten, ist es an der Zeit das NADA-Konzept kritisch zu beleuchten.
Die NADA ist eine international tätige, gemeinnützige, wissenschaftliche Fachgesellschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, Akupunktur in die Therapie von suchtkranken und psychiatrisch kranken Menschen einzuführen. NADA, das heißt National Acupuncture Detoxification Association.
Das Konzept der NADA ist eine bestimmte Therapiekombination der Suchtbehandlung, die in Amerika entwickelt wurde (Siehe auch: “Das NADA- Protokoll”). Es handelt sich dabei um eine im Rahmen eines globalen Betreuungskonzeptes angebotene Leistung für Suchtpatienten aus sozial schwachen Bevölkerungsbereichen. Hierzu ein Zitat eines Vertreters der NADA ( Rainer Baudis) : "....... das NADA-Protokoll beinhaltet die Gestaltung eines psychosozialen Rahmens, der die Wirkung von Akupunktur in einem nonverbalen, transformierenden Erfahrungsprozess zu entfalten hilft, und ist auf eine strikte Einbettung in die psychosozialen Angebote der Suchtkrankenhilfe angelegt".
NADA Therapeuten sind Ärzte, Krankenschwestern, Krankenpfleger aber auch sonstige nichtärztliche Mitarbeiter wie Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen. Ihre Ausbildung für die Suchtbehandlung nach NADA erfolgt an zwei Wochenenden zuzüglich eines Praktikums in einer Suchthilfeeinrichtung. Sie ist im Schwerpunkt auf den Umgang mit Suchtpatienten ausgerichtet. Dem entsprechen auch die Themen dieser Weiterbildung: - Taktik des Entzugs, - psychosoziale Charakteristika der Behandlung und - Umgang mit Komplikationen während der Behandlung. Es werden keine Kenntnisse über die Ohrakupunktur vermittelt. Man beschränkt sich auf die Beschreibung der 5 Punkte, die im Ohr genadelt werden sollen. Die Bedeutung, d.h. die Wirkungszusammenhänge dieser Punkte (im Ohr!) werden aus den Erkärungen, die in der chinesischen Medizin für die Wirkungen von Akupunkturpunkten der Körperakupunktur gelten, übernommen. Und das ist ein weiteres, gravierendes Problem, denn die Ohrakupunktur ist eben keine der traditionellen chinesischen Therapieformen und die aus der chinesischen Medizin adaptierten Wirkungszusammenhänge lassen sich auf das Ohr so nicht übertragen!
Die (in der Regel tägliche!) Behandlung über das Ohr verläuft wie folgt: Es werden je 5 Stahlnadeln in beide Ohren gestochen. Es handelt sich um die Areale “Hüfte” (Shen men), “Sacrum” (Vegetativum I), “Niere”, “Leber” und “Lunge”. Diese Nadeln werden jedem Patienten auf die gleiche Weise verabreicht. Sie werden einfach blind in das jeweilige Areal gesetzt. Das heißt, es wird sich nicht vorher vergewissert, ob gestörte Punkte überhaupt vorhanden sind. Dazu muss man wissen, das sich Punkte im Ohr nur abbilden, wenn Störungen im Organismus dieses erzwingen. Nur dann hat es einen Sinn durch einen Reiz auf diese Störung einzuwirken. Solange ein virulenter Punkt im Leberbereich nicht gesucht wird, bleibt es unklar, ob ein Reiz auf die Leber benötigt wird, ob eine Leberstörung überhaupt vorliegt. Das NADA-Vorgehen wird auf jeden Fall einen Reiz auf die Leber erzeugen und muss sich jetzt fragen, wie sich dieser aufgezwungene Reiz auf eine intakte Leber auswirkt, ob damit nicht eine Störung erst erzeugt wird!?
Die Behandlung erfolgt übrigens ohne Gespräch - “non verbal”. Der Patient ruht nach der Behandlung etwa 45 Minuten mit den Nadeln in den Ohren, ohne dabei zu sprechen, zu essen oder zu trinken. Nach 45 Minuten soll der Patient die Nadeln selbst entfernen und in der Regel am folgenden Tag (oder wie vereinbart) diese Behandlung wiederholen.
Lassen Sie mich das hier mit aller Deutlichkeit sagen: die sogenannte "NADA-Akupunktur" ist weder eine Akupunktur im klassischem Sinne und noch die Ohrakupunktur, wie wir sie von NOGIER kennen. Diese ist eine Reflexzonentherapie, bei der neurophysiologische Mechanismen zur Projektion von peripheren Störungen des Körpers über das Nervengeflecht auf das Ohr führen. Das gibt dem Therapeuten über diese Projektionen zurück auf den Körper zu wirken. Es gibt für für die Behandlung wirksame Punkte im Ohr nur, wenn Störungen im Organismus diese erzeugen. Solche Punkte werden entsprechend der Unterschiedlichkeit solcher Störungen im Organismus im Ohr sehr differenziert und an unterschiedlichen, nicht schematisch reproduzierbaren Stellen abgebildet.
Das, was die NADA anbietet, ist lediglich eine perkutane Reiztherapie. Durch die Behandlung gemäß des NADA-Konzeptes, stellen sich zwar allgemein entspannende Wirkungen ein - jedoch keine konkret auf eine Störung im Organismus bezogenen (Heil-) Reaktionen, wie wir sie bei der Ohrakupunktur oder der Klassischen Akupunktur erwarten können. Die Beliebigkeit dieser Strategie läßt annehmen, dass andere, ebenso unspezifische Punktlokalisationen die gleichen Wirkungen erzeugen.
Die klassische Ohrakupunktur wäre für die Behandlungsstrategie der NADA vermutlich gar nicht geeignet. Diese Ohrakupunktur ist so wirksam, dass sich allein die täglichen Behandlungen verbieten würden. Dadurch würden die ohnehin schon starken Wirkungen so potenziert, dass sie zu einer realen Gefahr für den Patienten werden. Insbesondere bei der Suchtakupunktur besteht das Problem, dass bei zu häufiger Behandlung (mittels Ohrakupunktur nach NOGIER) der alkoholkranke Patient in ein Delirium getrieben werden kann.
Man muss tatsächlich froh sein, das die NADA auf Grund der Beliebigkeit der Einwirkungen diese starken Wirkungen nicht erzeugt. Ein Erfolg des NADA Konzeptes beruht m.E. allein auf dem Zusammenwirken mehrerer Faktoren und ist bezogen auf eine spezielle Zielgruppe - sozialschwache Alkohol-und Drogenabhängige. Eben jene für diese Zielgruppe offenbar notwendige Flexibilität des Unspezifischen und seine "Nonverbalität" machen dieses Konzept wirksam. Das kann so ein geschundenes Wesen zulassen. Erst der Abstand, den der Therapeut (Nonverbalität und organisierter Selbsbezug der Patienten ohne weitere Beeinflussung) gegenüber dem Patienten wahrt, machen es für diese spezielle Zielgruppe geeignet.
Es ist daher überhaupt nicht plausibel, dass die NADA sich bei der Erläuterung ihres Konzeptes fast ausschließlich auf den kleinen Anteil sogenannter Akupunktur und wie es sich herausstellt mit einer nicht zutreffenden Argumentation diesbezüglich (Stichworte: Akupunktur, Ohrakupunktur, Traditionelle Chinesische Medizin usw.) fixiert, denn für Qualität des NADA-Konzeptes sind ja ganz andere Faktoren wichtig.
Nochmals: Die Ankündigung der NADA , ihr Konzept jetzt auf neue Wirkungsfelder (Stressbewältigung bei Erwachsenen, Hyperaktivität bei Kindern usf.) übertragen zu wollen, ist für mich angesichts der aufgeführten Tatsachen ein Problem. Es gibt bereits bessere und vor allem Erfolg versprechende Heilwege für diese Patienten und es besteht Gefahr, dass die vermeintlich wirksame NADA-Therapie verhindert, dass tatsächlich hilfreiche Therapie gesucht werden. Es wäre wünschenswert, wenn die NADA sich in diesem Sinne mit ihren Behauptungen auseinandersetzen würde. Es reicht tatsächlich nicht aus und dient den betroffenen Patienten nicht, wenn eine Therapie nur nicht schadet!
Michael Noack
Fachbereich Ohrakupunktur der ARGE TCM e.V.
Sehr geehrter Herr Dr. Raben,
herzlichen Dank für Ihre Erwiderung auf meine Ausführungen.
Als ich mich entschloss auf das NADA Protokoll kritisch zu reagieren, war es mir klar, wie schwer es wird, dabei das für mich Wesentliche, die Begrifflichkeit und Grenzen eines Konzeptes, stets im Auge zu behalten. Ich habe weder eine gewisse Wirksamkeit dieser Therapie bestreiten, noch das Bemühen der NADA um eine besonders problematische Patientengruppe kritisieren wollen. Das ist weder mein Thema, noch hätte ich überhaupt das Recht dazu.
Tatsächlich habe ich auf Praxis und Wirksamkeit der Nadelung von Arealen im Ohr nach dem NADA-Konzept hingewiesen: (Zitat aus meinen Ausführungen)
„Durch die relativ ungenaue Punktlokalisation und Nadelung im Rahmen des NADA-Konzeptes stellen sich zwar allgemein entspannende Wirkungen ein - aber keine so wirksamen, wie die der Ohrakupunktur oder der Klassischen Akupunktur. Die Akupunkturpraxis der NADA ist lediglich eine perkutane Reiztherapie.“
Und daraus habe ich Verständnisfragen abgeleitet:
„Entspricht das, was die NADA im Rahmen ihres Konzeptes anwendet der Ohrakupunktur nach Nogier?“
„Entsprechen die der chinesischen Medizin (Körperakupunktur) entlehnten Wirkungserklärungen für die von der NADA verwendeten Punkte wie „Shen men“ oder „Vegetativum I“ den tatsächlichen Wirkungen bei der Behandlung so bezeichneter Ohrakupunkturpunkte?
Das haben Sie gar nicht beantwortet. Sie wehren sich in Ihrem Beitrag lediglich gegen die Annahme, Ihre Form der Ohrakupunktur hätte bei täglicher Behandlung auf Drogenkonsumenten (oder Alkoholpatienten) die von mir beschriebenen Gefahren (Delir). Und mir ist klar, Sie haben gar nicht gelesen, was ich schrieb und vorallem, Sie sprechen nicht von der Ohrakupunktur, die ich vertrete und lehre. Dieses ist Ihr Missverständnis in der Sache, wir reden von unterschiedlichen Dingen.
Sie sprechen vom NADA-Konzept, wenn Sie ausführen:“ In vielen tausend Behandlungen konnten weder Suchtmediziner noch Suchttherapeuten feststellen, dass tägliche Ohrakupunktur einen Alkoholkranken ins Delir treibt. Schwerstkranke Alkoholiker werden in zahlreichen Kliniken, auch schon Tageskliniken mit den täglich sich wiederholenden 3-5 Punkten behandelt. Da kann Herr Lange nicht Recht haben.“
Sie haben meinen Hinweis auf die unterschiedlichen Konzepte gar nicht aufgenommen. Ich bin ja, wie Sie, der Auffassung, dass das NADA-Konzept keine oder nur eine recht unspezifische Wirkung hat und natürlich keinen so Behandelten in ein Delir treiben kann.
Ich spreche von der Ohrakupunktur, die vielfältigere und umfangreichere Wirkungen hat, als viele vermuten und deren Wirkungen so stark sind, dass der Organismus blockiert, wenn die Reize zu häufig und das bedeutet bei uns häufiger als im Abstand einer Woche(!), eingesetzt werden. Ich spreche davon, dass Sie ein Delir erzeugen würden, wenn Sie eine Ohrakupunktur, die diesen Namen verdient, anwenden würden. Und, Günter Lange hatte natürlich und vor allem deswegen Recht, weil er ein Praktiker war und daher wusste, wovon er redete.
Da muss die Frage gestattet sein: reicht Ihnen das, was Sie wissen? Wenn nicht, der Weg steht Ihnen offen, sich mit der wirklichen Ohrakupunktur intensiver zu befassen.
Bis dahin sollten wir uns auf den Fakt verständigen, dass die NADA den Begriff Ohrakupunktur auf das unspezifische Setzen von Nadeln in Ohrareale reduziert. Ich nenne das eine unspezifische, percutane Reiztherapie. Und das hat mit Ohrakupunktur als therapeutisches Konzept wirklich nicht das Geringste zu tun.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Noack
Leiter des Fachbereichs Ohrakupunktur der ARGE TCM e.V.
Fragen zum Inhalt richten Sie bitte an:info@ak-ohrakupunktur.de
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